Eigentlich ist jedes Kapitel der „Piesinger Pilze“ einer Bahn gewidmet. Das Auwäldchen zwischen Grün 6 und Abschlag 7 ist jedoch so artenreich, dass es ein eigenes Kapitel verdient. Bereits beim Verlassen von Grün 6 wird man von den neugierigen Bewohnern der benachbarten Alpaka-Ranch begrüßt.
Beim Eintritt in das Auwäldchen schlägt einem dann zwischen Frühsommer und Herbst ein widerlicher Aasgeruch entgegen. Die Ursache des Übels ist die Gemeine Stinkmorchel (Phallus impudicus). Dieser durch Form und Geruch auffallende Pilz bildet im Gegensatz zu den meisten anderen Pilzen keine trockenen, sondern feuchte, klebrige Sporen aus, die nicht durch den Wind, sondern durch Insekten (Fliegen, Sylphen etc.) verfrachtet werden. Um diese anzulocken, entwickelt der Pilz den besagten Aasgeruch.
Dazu noch ein gruseliges Detail: Da die Gemeine Stinkmorchel gelegentlich auch auf Grabhügeln wächst und mit abgefressener Sporenschicht bleich aussieht, wird sie mancherorts auch „Leichenfinger“ genannt. Einem alten Aberglauben zufolge soll der/die Begrabene ein sündhaftes Leben geführt haben und die Lebenden so zur Umkehrt mahnen.
Kaum zu glauben, dass dieses stinkende Etwas in einem frühen Entwicklungsstadium als „Hexenei“ essbar ist.
Generell ist das kleine, etwa 0,5 ha umfassende Auwäldchen Heimat für eine Vielzahl an Pilzen. Bisher wurden von dem Pilzsachverständigen Thomas Glaser 32 Arten kartiert. Darunter befinden sich neben vielen trivialen Arten, wie der Schmetterlingstramete (Trametes versicolor), dem Fenchel-Porling (Gloephyllum odoratum), dem Zaunblättling (Gloephyllum sepiarium) und dem Falschen Pfifferling (Hygrophoropsis aurantiaca) auch einige weniger häufige, wie der Fichten-Amyloidschichtpilz (Amylostereum areolatum), der Fälblings-Trichterling (Clitocybe martiorum) und der Rosafarbene Prachtrindenpilz (Corticium roseum).
Aber auch einige spektakuläre Blühpflanzen, wie den Türkenbund (Lilium martagon) und die Nesselblättrige Glockenblume (Campanula trachelium) hat das Wäldchen zu bieten.
Und zum Schluss noch ein Geheimtipp: Wer sich den Hauch eines Sinnes für Romantik bewahrt hat, der sollte in einer lauen Juninacht, am Besten vor einem Gewitter, dem besagten Wäldchen einen Besuch abstatten. Vielleicht kann er dann mit etwas Glück und Fantasie die Elfen tanzen sehen.
27.07.2022
Franz Mayer